Zukunft mit Zukunft?

Damit haben wohl die wenigsten gerechnet - ausgerechnet Harley Davidson entwickelt als erster Großserienhersteller ein E-Bike. Das Projekt nennen sie Livewire. Auf einer Tour durch Europa können Testfahrer das E-Bike genauer anschauen und Fahreindrücke sammeln.

Sie sieht aus wie eine moderne Abwandlung der klassischen Roadster. Schwarzer Sitz, schwarzer Rahmen, schwarzer Akku und dann ein strahlendes silbernes Alu-Gehäuse, welches hinter dem der E-Motor liegt. Motor zeigen ist wohl immer noch ein Muss für Harley. Ich sitze mit meinen 1,65 Metern wie angegossen auf ihr. Mir gefällt sie, sportlich, schick und doch auch ein wenig Understatement. Beim Anfahren kommen die Unterschiede von Motorrad mit Verbrennungsmotor und E-Bike zu Tage. Zunächst einmal weiß man nicht, ist sie jetzt an oder doch nicht, denn es ist einfach still. Der leichte Zug am Gashebel klärt schnell auf. 4 Sekunden später nehme ich den Gaszug bei 100 Stundenkilometer weg. Die Livewire bremst selbständig relativ stark ab und gewinnt damit Energie zurück. Das nennt man Rekuperation. Ein guter Grund, um wieder Gas zu geben. Und schon zieht sie wieder an. Die Neue hat 70 Newtonmeter Drehmoment und eine Leistung von 54 kW bei 8500 Umdrehungen.

"Wendig in den Kurven."

Schnell sind wir beim Probefahren auf dem Hockenheimring ein Team. Sie ist wendig in den Kurven. Mit ihren 210 Kilo ist sie leicht im Handling, was vielleicht auch daran liegt, dass ich im normalen Leben eine knapp 300 Kilo schwere Harley Dyna Glide fahre. Andere sagen nach dem Probefahren, sie lenke sich störrisch und die Balance wirkt unausgewogen, was aber zur Kundschaft passen würde. Da hat jeder wohl eine andere Ausgangssituation.

Die Livewire ist eine völlige Neukonstruktion. Die allermeisten Teile stammen nicht aus dem Harley Standardsortiment, sondern wurden für dieses Bike neu entworfen. Noch ist es ein Prototyp, wobei Harley dafür bekannt ist, schon recht ausgefeilte Prototypen auf „Tour“ zu schicken, um sich von der zukünftigen Kundschaft Meinungen und Verbesserungsvorschläge einzuholen.

"Nicht das satte Brummen eines Twinmotors, sondern das Heulen eines Düsenjets."

Während sie im Stillstand unscheinbar und lautlos auf ihr Go wartet, heult sie beim Gas unüberhörbar laut auf. So, wie man das eben von einer Harley erwartet (aber nicht von einem E-Bike). Beim näheren Hinschauen und beim Fahren verliert der Sound schnell an Attraktivität. Es ist nicht das satte Brummen eines Twinmotors, sondern das Heulen
eines Düsenjets und das ist nervig. Zumal der Sound wohl eher auf ein nicht aufeinander abgestimmtes Getriebe zurückzuführen ist. Um den Kraftfluss vom E-Motor auf das Hinterrad zu bekommen, wird dieser mit einem Kegelradgetriebe um 90 Grad gedreht.

Sind die Zahnflanken eines solchen Getriebes nicht präzise ausgerichtet, heult es wie ein Düsenjet. Trotzdem scheint der Sound als Marketinggag erst einmal gut anzukommen. So zeigt eine Umfrage von Harley: 86 % der Befragten stehen sehr gut zum Projekt Livewire, 74 % würden sich eine kaufen.

"Tachoanzeige und Drehzahlmesser sind out."

Klassische Instrumente, wie Tachoanzeige und Drehzahlmesser sind wohl in Zukunft out. Bei der Livewire zeigt ein einziger Touchscreen alle Informationen zu Batteriespannung und Batterietemperatur, Ladestand, Geschwindigkeit und Reichweite. Und man kann den Touchscreen auch als GPS verwenden. In der Anzeige erscheinen 179 km/h als maximale Geschwindigkeit. Und hier gibt es auch die ersten Informationen zum wohl kritischsten Punkt – der Reichweite. Im Modus „Range Ride“ kommt sie mit vollem Akku rund 100 Kilometer weit, im „Power Ride“ dagegen nur rund 50 Kilometer. Da – zumindest für mich - Motorradfahren vom Gas geben aus der Kurve lebt und weniger von ökonomischen gleichmäßigen fahren, sollte man sich eher auf 50 Kilometer Reichweite einstellen. Danach muss der 10 kWh Akku 3,5 Stunden an die Steckdose.

So ganz praxistauglich ist das noch nicht. Wenn sich die Batteriekapazität jedoch in den nächsten Jahren weiterhin erhöht und die Zellen gleichzeitig kleiner und leichter werden, könnte die Livewire mit einer 30 kWh Batterie eine Reichweite von 300 Kilometern bekommen. Und von da ab wäre sie eine echte Konkurrenz zu den Motorrädern mit Verbrennungsmotor. Wahrscheinlich auch ein Grund, warum Harley plant erst um 2020 herum sein E-Bike zum Kauf anzubieten.

Auf die Frage der Schnellladung gibt es auch von Harley noch keine Antwort. Geht auch nicht, denn hier sind die Verantwortlichen aus Stadt, Land und Bund gefragt. Echte Schnellladestationen wandeln unseren Wechselstrom in Gleichstrom um, damit lassen sich die Akkus sehr viel schneller laden. Solche Gleichrichter lassen sich auch einbauen – in Autos. Für Motorräder sind sie zu schwer. Ein Gleichrichter von 11 kW wiegt zur Zeit rund 40 Kilogramm. Mit einem Schnelllader könnte die Livewire der Zukunft in 30 Minuten oder weniger aufgeladen sein. Und für mich ist das eine richtig gute Zukunftsaussicht.

Technische Daten auf einen Blick

  • Drehmoment 70 Nm ab Stillstand (fühlt sich aber nach weit mehr an, mindestens 110 Nm)
    • Leistung: 54 kW bei 8500 Umdrehungen Von 0 auf 100 km/h in 4 Sekunden
      • 10 kWh Lithium Akku (vermutlich, Hersteller gibt keine genauen Angaben dazu)
        • Aufladezeit: mit 3 kW Lader in 3,5 Stunden (8 Ampere bei 380 Volt)
          • Aufladezeit: mit 3 kW Lader in 3,5 Stunden (8 Ampere bei 380 Volt)
            • Leergewicht 210 Kilogramm
              • Antrieb über Asynchron Motor, angesteuert von einem Frequenzumrichter, der die Drehzahl und Leistungsausbeute des Motors steuert. Da beide recht warm werden können, werden sie extra gekühlt – der Motor mit einem Ölkühler, der Frequenzumrichter (von Harley ECU) genannt) hat eine Wasserkühlung.
                • Scheibenbremsen, Zahnriemenantrieb, Aluminium-Brückenrahmen
                • Scheibenbremsen, Zahnriemenantrieb, Aluminium-Brückenrahmen